Die gesamte Vielfalt organismischen Lebens ("Biodiversität")
stellt die für die Sicherung der menschlichen Existenz bei weitem
wichtigste und zugleich die am kompliziertesten strukturierte natürliche
Ressource unseres Planeten dar. Verfügbarkeit und allgemeiner Zugang zu
grundlegenden Informationen über die globale Biodiversität sind daher
von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der
Menschheit und werden zunehmend auch von politischer Seite gefordert, so
z.B. im Rahmen der Biodiversitätskonvention, durch das OECD Megascience
Forum und verschiedene Initiativen der G7-Staaten.
Vereinfachend lassen sich fast alle biologischen Daten und Kenntnisse zur Biodiversität den drei Ebenen molekular, organismisch und ökosystemar zuordnen, die sowohl von ihrer wissenschaftlichen Erforschung her als auch hinsichtlich ihrer gegenwärtigen informationstechnischen Betreuung gut zu trennen sind. Letztendlich ist aber eine Überwindung dieser Trennung im Rahmen eines umfassenden Systems der Biodiversitätsinformation anzustreben, welches die Biodiversität selbst in ihrem hierarchischen Aufbau (Moleküle, Zellen, Gewebe, Individuen, Populationen, Arten, Gesellschaften, Ökosysteme) abbildet und modelliert. Wir stehen jedoch erst am Anfang der Biodiversitätsforschung, und das Feld der Biodiversitätsinformatik ist noch jünger. Die Trennung in die drei Bereiche bleibt daher bis auf weiteres sinnvoll. So ist z.B. eine unmittelbare Herleitung aller Eigenschaften und Leistungen bestimmter Organismen allein auf Grundlage der Kenntnis ihrer konstitutiven Moleküle derzeit nicht absehbar; ebenso lassen sich komplexe organismische Funktionen nach wie vor meist nicht direkt einzelnen Molekülen zuordnen (obwohl wir zunehmend Gene kennen, welche bestimmte Eigenschaften kodieren, z.B. Wuchsform, Farbe oder Substratabbau). Die Vorhersagbarkeit wichtiger Ökosystemeigenschaften ist dagegen teilweise bereits heute auf der Grundlage der Kenntnis physiologischer Leistungen einzelner Organismen zumindest grob möglich. Die Tragfähigkeit bzw. Vorhersagekraft der hier vorhandenen Modelle leidet jedoch oft an der unzureichenden Informationsbasis auf der Ebene der Organismen, also dem Fehlen von auf das Taxon bezogener Information zu eben diesen Leistungen. Die Beseitigung dieses Informationsdefizits, also die unmittelbare Verknüpfung der vorliegenden Informationen zur organismischen und synökologischen Ebene ist daher drängend, wobei vor allem die Ökosystemforschung auf (neue) Daten aus dem organismischen Bereich angewiesen ist. Die Informatik ist "die Wissenschaft von der systematischen Verarbeitung von Informationen, besonders der automatischen Verarbeitung mit Hilfe von Digitalrechnern" . Die Verarbeitung von Biodiversitätsinformation sollte daher als Biodiversitätsinformatik (engl. biodiversity informatics) bezeichnet werden. Der Begriff Bioinformatik (bioinformatics) ist als Terminus von der molekularen Biodiversitätsinformatik belegt; für die ökosystemare Ebene findet sich in der Umweltinformatik (environmental informatics) ebenfalls ein bereits geprägter Begriff. Für die organismische Ebene wird teilweise der neuere Begriff Biodiversitätsinformatik direkt verwendet, man sollte hier aber besser von organismischer Biodiversitätsinformatik sprechen. Entwicklungsstand und Datenverfügbarkeit in diesen drei Bereichen stellen sich wie folgt dar. Bioinformatik (molekulare Biodiversitätsinformation): Für den molekularen Bereich existieren in Deutschland bereits umfangreiche, international meist gut eingebundene Datenbankprojekte. Der Informationszugang bzw. -austausch ist hier vergleichsweise gut organisiert, bis hin zur Einbindung privatwirtschaftlicher Sektoren. Nach einer Einschätzung der OECD Megascience Forum Working Group on Biological Informatics sind im molekularen Bereich bereits heute mehr als 95% der Daten digitalisiert, im organismischen Bereich hingegen weniger als 5%. Die 50jährige Geschichte der Molekularbiologie verlief parallel mit der Entwicklung der Informatik und ist eng mit ihr verzahnt. Die informations- und labortechnische Entwicklung, aber vor allem auch die gut funktionierende internationale Zusammenarbeit führte zu einer exponentiellen Informationszunahme im molekularen Bereich. Umweltinformatik (Biodiversitätsinformation auf der Ökosystemebene): Große Datenmengen werden hier in Form von Umweltinformationssystemen zusammengetragen. Für die Ökosystemebene existieren auf nationaler Ebene bedeutende Datenbank- und Informationssysteme und erfolgversprechende Ansätze zu einer Koordinierung zeichnen sich zumindest auf europäischer Ebene erkennbar ab. Organismische Biodiversitätsinformatik: Der Zugang zu Daten und die Integration von Informationen auf der organismischen Ebene ist mit wenigen Ausnahmen als defizitär zu kennzeichnen, obwohl (oder gerade weil) in diesem Bereich schon seit ca. 250 Jahren biodiversitätsbezogene Daten erhoben und gespeichert werden, so z.B. in den weltweit auf bis zu 3 Milliarden Exemplare geschätzten Beständen naturkundlicher Forschungssammlungen. Bedeutung der ArtinformationInnerhalb dieses Bereichs dominiert vordergründig das Problem der enormen Vielfalt existierender Lebensformen, die, von einzelnen Individuen ausgehend, eine sichere Zuordnung bzw. Verknüpfung von Information und Erkenntnissen massiv zu erschweren scheint. Die als Folge der biologischen Evolution in der Abstammungsgeschichte (Phylogenese) entstandene, natürliche hierarchische Ordnung aller Organismen bietet jedoch einen hervorragenden Schlüssel, diese ansonsten unüberschaubare Vielfalt der Lebensformen zu ordnen und damit auch nutzbar zu machen. Die Charakterisierung und Benennung dieser natürlichen Einheiten der Organismen (Taxa: Varietäten, Unterarten, Arten, Gattungen, Familien, etc.) ist Aufgabe der Taxonomie, die mit Hilfe international verbindlicher Regeln für die biologische Nomenklatur den verschiedenen Taxa eindeutige Namen zuordnet und diese in ein hierarchisches Klassifikationssystem stellt. Dieses universelle Referenzsystem in der organismischen Biologie bietet ideale Voraussetzungen für die Verknüpfung getrennt vorliegender, qualitativ unterschiedlicher Informationen und Daten zu einzelnen Organismen, wie auch zur Überprüfung der Gültigkeit bzw. des Wertebereichs bestimmter Erkenntnisse und Hypothesen. In dieser Funktion hat sich das bestehende System der Organismen einerseits seit langem bewährt, andererseits besteht ein erheblicher Forschungsbedarf zur weiteren Verfeinerung und Vervollständigung des Systems (Taxonomic Impediment, vergl. Darwin Declaration, Environment Australia 1998). Aber auch für die vorhandenen Erkenntnisse sind bisher die Speicherungs-, Organisations-, und Analysemöglichkeiten, die sich aus der Entwicklung der modernen Informationstechnik ergeben, nur ansatzweise ausgeschöpft worden. Eine Entwicklung der Biodiversitätsinformatik auf der organismischen Ebene, unter Beteiligung taxonomischer, informatischer und geographischer Kompetenz, ist daher eine vordringliche Aufgabe. Bedeutung der Information in biologischen SammlungenBiologische Sammlungen umfassen sowohl Lebendsammlungen wie Botanische oder Zoologische Gärten und Kultursammlungen (Bakterien, Pilze, Protisten, Algen), als auch die konservierten Präparatesammlungen in Naturkundemuseen, Universitäten und anderen ökologischen Forschungsstellen. Sie bilden einerseits die materielle Arbeitsgrundlage der biologischen Systematik, andererseits sichern sie (zumeist als konservierte Belege) die wissenschaftliche Überprüfbarkeit von Forschungsergebnissen verschiedenster Teilbereiche der Biologie bzw. ermöglichen die Reproduzierbarkeit einzelner Befunde. Besonders die Lebendsammlungen stellen daneben ein beträchtliches Reservoir genetischer Ressourcen dar, das z.B. für medizinische oder biotechnologisch ausgerichtete Forschungen eingesetzt wird. Aber die biodiversitätsinformatische Bedeutung der Sammlungen geht weit über diese Verwendungen hinaus. Die Belege selbst und die mit ihnen assoziierten Daten (Etiketten, Veröffentlichungen) sind zugleich Träger wesentlicher primärer Information über Aufbau und Beschaffenheit, geographische Verbreitung und Lebensweise einzelner Organismen sowie der Zusammensetzung der Ökosysteme, denen sie angehören bzw. angehörten; und dies in einer sich über mehrere Jahrhunderte erstreckenden zeitlichen Dimension. So bilden diese Sammlungsbelege, sowohl als Informationsträger als auch materiell, einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der im Rahmen des Globalen Wandels anstehenden Probleme der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der natürlichen Biodiversität im internationalen Rahmen. |